Es begab sich in der Zeit nach der Jahrtausendwende in einer oberbayrischen Kleinstadt. Schnee liegt noch auf den Feldern aber die Fischsaison ist bereits eröffnet. Mit ein paar Fischerkollegen sitze ich beim Wirt in dem besagten, verträumten Städtchen und wir diskutieren über Gott und die Welt und irgendwann fällt das Stichwort "Rutenbau". - Ich schweife mal kurz in eine ganz andere Branche, nämlich in die Computerei. Dort gibt es zwei Kategorien von Menschen; welche, die Computer bauen und welche, die mit ihnen arbeiten. Um diese Erkenntnis auf mich und auf's Fischen zu münzen - in der Fliegenfischerei bin ich eigentlich der reine Anwender. Das ist wie mit dem Wein, ich probier ihn und kann dann entscheiden ob er mir schmeckt oder nicht aber ich bau ihn nicht selber an.
Wieder fällt das Stichwort "Rutenbau" und holt mich aus meinem gedanklichen Ausflug an den Tisch beim Wirt zurück. Es kommt von meiner Tischnachbarin die mir immer wieder ins Ohr flüstert: "Du brauchst unbedingt no a Selbergstrickte in Deiner Sammlung!" Die Stimme war Maria - nein, nicht DIE Maria sondern eine nette Fischerkollegin. "Wia soll des geh Maria? I mit meine zwoa linken Händ für's Handwerkliche!" Maria: "Mit meiner Hilf und da Unterstützung von am hervorragenden Rutenbauer, dem Karl schaffst Du des locker! Wer Fliang bindn ko, der ko a Ruatn baun!" - Ich muß dazu sagen, ich hab schon ca. 20 Fliegenruten im Keller aber Maria war hartnäckig und hatte kräftige Argumente, denen ich mich auf Dauer nicht entziehen konnte.
Meine Gedanken schweifen weit in meine Kindheit zurück, wo ich das letzte mal etwas komplizierteres gebastelt hatte. Es waren Kripperl und Rauschgoldengel in allen möglichen Ausführungen. Heute, nach 50 Jahren steh ich wieder vor einer solchen Kreativphase meines Lebens aber, wenn man schon ein halbes Jahrhundert mit dem Fliegenfischen privat und beruflich zu tun hat, sollte man irgendwann einmal auch eine eigene, persönliche, selbstgebaute Rute haben. Das war mein Entschluß und mit dieser Überzeugung wage ich mich einige Wochen später in das Abenteuer und mach mich auf den Weg, wieder in das kleine, verschlafene Gebirgsstädtchen wo ein Rutenbaukurs angesagt war.
Vor dem Haus halt ich erschrocken inne und lausche den lauten und schrillen Kommandos einer kräftigen Männerstimme welche mich an einen Kasernenhof erinnert und mir erst einmal Unbehagen einflößt. Es war, wie sich später herausstellte, die Stimme von Karl, unserem Lehrer. Als ein ruheliebender, naturverbundener Gebirgler, für den schon das laute Schnarren einer Fliegenrolle eine akustische Umweltverschmutzung darstellt, konnte ich mit solchen Schreihälsen meist nichts anfangen. Da kann ich mir schon mal eine Klinikpackung Kopfschmerztabletten herrichten. So waren meine ersten Gedanken.
"Gott sei dank!", ein vertrautes Gesicht kam mir lächelnd entgegen als ich den Raum betrat, ein in eine Werkstatt umfunktionierter Saal. Es war Maria, ihr erinnert Euch, die sanfte Stimme vom Bräuwirt? Jetzt wußte ich auch warum Karl so schreit. Einige Jungs diskutieren leidenschaftlich und lauthals über ihre bereits begonnenen Arbeiten und da mußte Karl natürlich akustisch weit darüber liegen um noch einigermaßen wahrgenommen zu werden.
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Mein Tisch war schon vorbereitet und die Rutenteile, die mir mein guter Geist Maria schon im Vorhinein bestellt hatte, lagen auch schon bereit. Da ich als "Softi" bisher eher die weicheren Ruten bevorzugte und von diesen aber schon eine Menge besitzte, entschied ich mich diesmal für eine etwas härtere und schnellere 3-er.
Mit Karls Hilfe und einer geballten Ladung Fachwissen und Handfertigkeit montieren wir als erstes den Griff bevor wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem "Overlap" machten. Der Overlap ist kein bayrischer "Überdepp" wie ich fast vermutete, sondern entsteht bei der Herstellung des Blanks und ist die Basis für die Berechnung und Ausrichtung der Ringe. Das hab ich mit Karls überzeugendem "Holzhammercharm" nach ein paar mal Nachfragen begriffen und den Overlap sogar gefunden. Langsam verschwindet das anfängliche Unbehagen gegenüber Karl und wandelt sich immer mehr in Erfurcht, Respekt und sogar Sympathie und meine Kopfschmerztabletten konnte ich auch in der Tasche lassen. Ja, bisher machte es sogar riesen Spaß!
Nun aber gings ins "Eingemachte" wie man so schön sagt und zwar ans wickeln der Ringe was mir von Karls Tochter, einem netten, sympathischen jungen Mädchen auf ruhige, angenehme Art gezeigt wurde. Das war auch wichtig, denn in die Jahre gekommen, schon etwas zittrig, neben einem hübschen, jungen Mädel aufgeregt aber nicht mehr wissend warum und mit einer Sehkraft welche einem Maulwurf beim Lesen der Underground-News gleichkommt. Für die junge Assistentin eine Höchstleistung, welche sie aber souverän und mit Bravour meisterte. Man merkt sofort dass sie viel von ihrem Papa mitbekommen hat. Spätestens jetzt erkannte aber auch ich, dass zwischen dem Fliegenbinden und dem Rutenringe wickeln noch ein großer Unterschied im Handwerklichen und vor allem in der Präzision liegt. Wo ich beim Fliegenbinden immer noch kaschieren kann, vor allem wenn es sich um die "gemeine Kampffliege" handelt, da musste ich beim Ringe wickeln wieder von neu beginnen wenn's nicht sauber gebunden war. 9 Ringe und das Ganze mal 2 waren für jeden Steg zu wickeln. Ein paar mal sprang der Ring wieder raus aus dem Kabelbinder und ich konnte von vorne anfangen. Wer mich kennt weiß, dass ich nicht leicht aus der Ruhe zu bringen bin aber hin und wieder kam ein Fluch über meine Lippen und ich sah mich genötigt, dem Karl oder jedem der in meine Nähe kam, mitzuteilen, dass man solche Arbeiten ins Gefängnis nach Stadelheim gibt und nicht einem unbescholtenen, steuerzahlenden Bürger aufdividiert.
Aber es nützt alles nichts, ich wollte es so und mußte folgedessen da durch. Irgendwann war es aber geschafft und ich war sowas von erleichtert. Viele waren schon beim Lackieren, die hatten aber auch keine 9 Ringe doppelt zu wickeln. Jetzt hatte ich endlich auch ein wenig Zeit den anderen über die Schulter zu schauen. Den Jungs beim Bau ihrer individuellen Ruten zuzusehn war ein Erlebnis. Da wurde über Einzelheiten diskutiert und gefachsimpelt wie bei den Alten und es entstanden richtige Kunstwerke mit viel Liebe zum Detail. Den Umgang mit den Jungs hat der Karl los, wenn auch zwischendurch immer wieder seine "Urschreie" durch den Saal hallten und ich besorgt um meine Rute war, dass sie nicht vom Tisch springt und ich wieder neu anfangen muß.
Wärend der ganzen Zeit hat mich Maria fürsorglich begleitet und jetzt, zum Schluß sogar noch eine Überraschung für mich. Dafür sollte ich ihr die noch nicht fertig gestellte Rute überlassen, was ich natürlich gern und vertrauensvoll tat. Ich war gespannt was da noch kommt.
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Einige Tage später brachte mir Maria die Rute vorbei und die kleine Überaschung war geglückt. Sie hat meiner Rute noch eine ganz persönliche Note verliehen. Sie wußte, dass ich meist den Zeigefinger auf den Rutenblank lege und machte mir genau da wo die Fingerkuppe aufliegt, eine Zierwicklung mit Goldfasantippets und einem Dschungelhahnauge. Ich war begeistert! Ohne hinzusehen spürte ich an dem kleinen Nippel dass die Rute richtig in der Hand liegt. Bestimmt ist die Rute nicht die Perfekteste, alles Bisherige in den Schatten stellende - aber sie ist die Individuellste und für mich am Allerwichtigsten: sie ist selbstgemacht und ich hab sehr, sehr viel dabei gelernt!
Jetzt mußte die neue Rute nur noch in einem würdigen Rahmen eingeweiht werden. Nicht mit Pfarrer und Ministranten - nein, an einem schönen Gebirgsbach in unseren bayrischen Voralpen. Was wäre dazu besser geeignet als bei einem Geburtstagsfischen mit meinem besten Freund Markus an dem Bach der durch das kleine besagte Gebirgsstädtchen, fast an der Geburtsstätte meiner neuen Rute vorbei fließt.
Mit einer selbstgebauten Rute zu fischen - das hat einfach was! Das weiß sogar diese schöne Bachforelle die dem Ganzen noch die Krone aufsetzt und sich bestimmt nicht von der zerzausten Ritz-D sondern von der neuen Rute beeindrucken ließ.
Eine neue Lieblingsrute war geboren!